2. Fastensonntag 2018
Zweiter Fastensonntag 2018
Kyrie
Herr, Jesus Christus,
an der Seite derer, die unter Unrecht und Gewalt leiden, weichst du der Konfrontation mit der Macht des römischen Reiches nicht aus.
Herr, erbarme dich!
Im Vertrauen auf Gott und verwurzelt in den Traditionen deines Volkes gehst du den Weg zum Kreuz.
Christus, erbarme dich!
Auf diesem Weg lehrst du verstehen, was es heißt: „von den Toten auferstehen“.
Herr, erbarme dich!
Erste Lesung
Hinführung
Isaak wird nicht getötet. Auf diese Aussage zielt die Erzählung von Abrahams Bereitschaft, seinen Sohn zu opfern. Die Erzählung spielt in einer Zeit und Kultur, in der Menschen Gottheiten geopfert werden. Israels Gott der Befreiung aber will keine Menschenopfer. In unserem Text wird Umkehr deutlich: die Umkehr von Gottheiten, die Menschenopfer als Ausdruck der Unterwerfung fordern, hin zu Israels Gott, der mit seinem Volk Wege der Befreiung aus Unterdrückung und Tod gehen will.
Text:
Gen 22,1-2.9a.10-13.15-18
Zweite Lesung
Hinführung:
Abrahams Sohn Isaak wurde von Gott vor dem drohenden Tod gerettet. Seinen eigenen Sohn hat Gott nicht geschont. Auch angesichts des drohenden Todes ist Jesus den Weg der Befreiung zu Ende gegangen – bis zum Tod am Kreuz. In der Auferweckung hat Gott ihn zum Anfang einer neuen Welt gemacht. Darin – so betont Paulus – hat er uns alles geschenkt.
Text:
Röm 8,31b-34
Evangelium: Mk 9,2-10
Auslegung (Herbert Böttcher)
Was soll das heißen: „von den Toten auferstehen.“ (V10)? Das fragen sich die Jünger beim Abstieg vom Berg der Verklärung. Darum, wie Auferstehung zu verstehen ist, ringt das gesamte Evangelium des Markus. Das zeigt sich noch in der Geschichte von den Frauen am leeren Grab. Sie sind nicht von Osterfreude erfüllt, sondern von „Schrecken und Entsetzen“. Sie fliehen und sagen niemandem etwas (Mk 16,8).
Markus hat es, was die Auferstehung angeht, buchstäblich die Sprache verschlagen. Grund dafür ist die Situation, in die hinein er von Tod und Auferstehung des Messias reden muss. Sie ist geprägt vom Schrecken und Entsetzen, das der Krieg der Römer gegen die Juden ausgelöst hatte, vom Massensterben rund um den See Genezarth, von Hunger, Flucht und Vertreibung. Jerusalem und der Tempel liegen in Schutt und Asche. Es gibt keine Wiederkunft des auferstanden Messias, keinen neuen Himmel und keine neue Erde, sondern nur Wüste und Wirrnis ohne Licht – so wie vor der Schöpfung. Da ist kaum noch zu verstehen, was das denn heißen soll „von den Toten auferstehen“.
Für Markus ist die Wüste ein zentraler Bezugspunkt seiner Erzählung über den Messias Jesus und seines Nachdenkens über Tod und Auferstehung. Am vergangenen Sonntag haben wir gehört, wie Jesus in der Wüste in Versuchung geführt wurde. Er ist konfrontiert mit einem „wüsten und wirren Ort“. Die Wüste ist bei Markus Ausdruck der aktuellen Zerstörung und Verzweiflung. Zugleich ist sie der Ort, durch den Israel hindurch musste, um in das Land der Verheißung zu kommen. Die Zeit in der Wüste war für Israel die Zeit des Zweifels und der Versuchung, doch wieder zurück zu gehen unter die Knute Ägyptens, die Zeit, der Versuchung, sich den Götzen der Macht zu unterwerfen.
Wenn es einen Sinn macht, von der Auferstehung zu reden, dann nur, wenn die Botschaft von der Auferstehung dem Blick auf die Wüste, auf die Zerstörungen und das Scheitern aller Hoffnungen stand halten kann. Dabei darf das Sprechen von Auferstehung zwei Versuchungen nicht erliegen: Es darf nicht zur Anpassung an die römische Herrschaft führen. Zudem muss es die Träume von einem neuen Reich Davids, das an die Stelle der Herrschaft Roms tritt, aufgeben. Der Weg zur Auferstehung führt nicht zu einer neuen Herrschaft, sondern an das Kreuz der Römer. Und genau dies ist so schwer zu verstehen – für die Jünger damals wie für uns heute.
Vor der Verklärung hatte Jesus versucht, seinen Jüngern diesen Weg verständlich zu machen. Vergeblich. Die Jünger beharren auf einem Messias, der zu Triumph und Macht führt. „Sechs Tage danach“ (V 2) – so setzt unser Evangelium ein – macht Jesus einen neuen Versuch. Er führt drei Jünger auf einen hohen Berg. Mit den „sechs Tagen danach“ spielt Markus auf den Sabbat an, den Tag, an dem Gott die Schöpfung vollendet. Auf dem Berg sollen die Jünger einen kurzen Blick in Gottes neue Schöpfung tun. Sie sollen erahnen, dass Jesu Weg in die Katastrophe gehalten ist von Israels Gott, getragen von Mose, der mit dem Volk die Versuchungen in der Wüste bestanden hatte, und von Elija, dem Prediger der Umkehr von den Götzen der Macht und des Todes zum Gott des Lebens.
Aber auch der Blick in den Himmel scheitert. Die Jünger wollen den Himmel in drei Hütten fest halten. Einer solchen Versuchung sind auch heutige Menschen ausgesetzt. Sie sprechen vielleicht nicht mehr vom Himmel oder von Gott, sondern eher davon, dass sie zu sich selbst finden und positiv denken wollen. Sie hoffen, dies sei ein Weg, Belastungen zu entkommen – sowohl den Belastungen durch die Katastrophen und Zerstörungen, die unser Gesellschaftssystem in der Krise hervorbringt, als auch den alltäglichen Belastungen, die sie überfordern. Schließlich sollen sie die politisch nicht mehr zu bewältigende Krise des Gesellschaftssystems – von prekären Arbeitsverhältnissen bis hin zum Sozialabbau – als einzelne bewältigen. Sie sollen Eigenverantwortung und Ehrenämter übernehmen, sich durch ständige Selbstoptimierung für den Konkurrenzkampf fit halten.
Angesichts all der Belastungen kann der Weg in ein heiles Selbst und die Ratschläge, positiv zu denken, der Wirklichkeit nicht stand halten. Sie lässt sich nicht positiv weg denken. Auch in sich selbst stoßen Menschen auf alle jene Probleme, die von außen auferlegt sind, die nieder drücken und depressiv machen: Zeit- und Leistungsdruck, finanzielle Sorgen und die Angst, abzustürzen, nicht mithalten zu können in der Konkurrenz um die schwindenden Plätze an der Sonne. Die Wirklichkeit, die auch unsere Seelen zerstört, kann weder weg gedacht oder noch weg therapiert werden. Auch seelische Heilung führt über die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit.
Mit der Wirklichkeit konfrontiert Israels Gott. Die drei Hüttenbauer sollen das „Höre, Israel!“ aus der Tora ernst nehmen. D.h. sie sollen auf den Messias Jesus hören, in seinem Weg Gottes Wege der Befreiung erkennen. Dieser Weg führt den Messias mitten hinein in die Konfrontation mit den Verhältnissen und darin in Leid und Tod. Durch das Leiden an der Wirklichkeit hindurch bahnt sich der Weg zur Auferstehung.
Wer den Himmel jedoch in Hütten bannen will, bleibt in Illusionen und Selbstbetrug gefangen. Es ist der Selbstbetrug, der sich und andere glauben machen will, die Flucht aus der Wirklichkeit könne trösten und beständiges Glück sichern. Wer das Heil in sich selbst, in betrügerischen Entlastungen sucht, ist sich selbst genug und bleibt in sich selbst gefangen. Wer sein Glück in Hütten bannen will, braucht keine Auferstehung und kann nicht begreifen, was das heißt „von den Toten auferstehen“. Die Botschaft von der Auferstehung überschreitet die eigenen kleinen Welten. Weil Leid und die Verhältnisse, die es verursachen, überwunden werden sollen, lenkt sie den Blick auf die Wirklichkeit und ihre Opfer. Wer sich dem Blick auf die Opfer und eine Gesellschaft, die tötet und depressiv macht, verschließt, kann mit einer Botschaft von der Auferweckung des Messias und der Hoffnung auf neuen Himmel und eine neue Erde nichts anfangen. Das Glück ist ja in den eigenen Illusionen immer schon da. Illusionen aber können der Wirklichkeit nicht stand halten.
Angesichts des Trugs von Illusionen, rät Markus zur Wachsamkeit. Dieser Rat ist uns am Ersten Adventssonntag als Überschrift über das Kirchenjahr begegnet. Gemeint ist die Wachsamkeit angesichts von geschichtlichen Katastrophen, die Menschen sozial und in ihrer Seele erleiden. Wer fremdes und eigenes Leid ausblendet, passt sich den Verhältnissen an. Wachsamkeit hingegen verweigert das Einverständnis mit dem, was Menschen angetan wird, und deshalb auch mit einer Gesellschaft, die Menschen in soziales und psychisches Elend treibt. Wer wachsam ist, sucht nach der Überwindung von Grenzen, der Grenzen des eigenen Ego, der Grenzen einer Gesellschaft, die in Krisen und Katastrophen treibt und nicht zuletzt der Grenzen, die der Tod setzt. Wer wachsam ist, sucht nach einer Auferstehung, die jetzt schon inmitten von Leid und Katastrophen dazu befreit aufzustehen.
Statt wach zu bleiben, fallen unsere Jünger am Ölberg in Tiefschlaf. Mit der Aufforderung „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet.“ (Mk 14,38) weckt Jesus sie auf. Dabei verbindet er Wachsamkeit und Gebet. Sie sind auch in Jesu Beten verbunden. Jesus selbst betet nach Markus an „einsamen“, d.h. an wüsten und leeren Orten. Sein Beten flieht nicht vor Verwüstung und Zerstörung, sondern nimmt sie 'ins Gebet'. Er geht nicht in sich, sondern taucht in die Wirklichkeit und in Gott ein. Er spricht nicht mit sich selbst, sondern mit Israels Gott. In dieses Gespräch gehören Mose und Elija. Solches Beten lässt die Wirklichkeit an sich heran und bedenkt sie vor Gott. Das gibt die Kraft auf zu stehen, den Weg in die Konfrontation mit den Verhältnissen zu gehen und darin zur Auferstehung.
Wachsam und betend lässt sich lernen, was das denn heißen kann: „von den Toten auferstehen“. Markus macht es immer wieder deutlich, wenn er Jesus zu Menschen, die am Boden liegen, sagen lässt: „Steh auf!“. Sie sollen aufgerichtet werden wie das am Boden liegende Israel. Im Aufstehen ist eine Haltung wirksam, die sich mit den Tatsachen nicht abfindet, weil sie denen, die Treue hält, die an ihnen zerbrechen. In ihr ist zugleich die Hoffnung lebendig, dass Gott sein letztes Wort des Lebens in der Auferweckung der Toten spricht.
Sich in Wachsamkeit und Beten zu üben, wäre eine intensive Vorbereitung auf Ostern: Christen könnten im Abschalten der Ablenkungen, die sie tagtäglich überfluten, wach werden angesichts dessen, was mit anderen und mit jedem einzelnen unter dem Druck einer Gesellschaft geschieht, die immer mehr Menschen in den Sog ihrer Krise treibt. Angesichts der heutigen „wüsten und wirren Orte“, ließe sich das Gespräch mit Gott neu lernen und zwar als Gespräch mit den befreienden Traditionen des Glaubens. In solchem Beten setzt sich Jesu Beten fort, sein Gespräch mit Mose und Elija, und darin mit Israels Gott – bis hin zu seinem letztem Gebet: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“? (Mk 15,34). Und weil Jesus seine Verlassenheit nicht hinaus in die Leere, sondern Gott ins Angesicht schreit, hält er auch noch angesichts des Scheiterns an seinem Gott und der Hoffnung fest, dass er an ihm und allen Gescheiterten wahr mache, was er mit seinem Namen versprochen hat: Aufstehen gegen den Tod und dagegen, dass der Tod das 'letzte Wort' haben soll.
Fürbitten
Gott, des Lebens und der Befreiung, du willst nicht, dass Menschen zu Opfern von Unrecht und Gewalt werden. Wir bitten dich
für die Zivilbevölkerung in Syrien, deren Lage immer aussichtsloser wird, für die 650.000 Menschen, die innerhalb weniger Wochen aus Myanmar nach Bangladesch fliehen mussten und für diejenigen, die unter dem Terror in Maynamr aushalten müssen:
um Aufmerksamkeit und Menschlichkeit, um Einsicht für die politisch Handelnden, die Menschen in Syrien zu Opfern ihrer Machtinteressen machen.
Du Gott des Lebens und der Befreiung...
für die Mädchen, die in Nigeria zu Opfern von Islamisten geworden sind, für die Opfer von Gewalt und Amokläufen an Schulen, für Flüchtlinge, die auf Ressentiments und rassistischen Hass stoßen:
um Befreiung, um das Ende der Wege, die in Unmenschlichkeit und Barbarei führen, um kritisches Nachdenken über eine Gesellschaftsordnung, deren Krise in immer neue Unmenschlichkeit treibt
Du Gott des Lebens und der Befreiung...
für alle, die es unter dem Druck der Verhältnisse und der alltäglichen Überforderungen nicht mehr aushalten, für diejenigen, die depressiv werden, für Gruppen und Institutionen, die helfen und protestieren und für solche, die kritisch nachdenken und unbequeme Wahrheiten aussprechen:
um Kraft gegen Gleichgültigkeit und Feindschaft, um Erkenntnis und Hoffnung gegen alle Verzweiflung
Du Gott des Lebens und der Befreiung...
für diejenigen, die einsam leben – als Arme und Kranke, als Alte, als Obdachlose, als Übersehene und Überflüssig gemachte:
um Beachtung und Ansehen, um Begegnung mit Menschen, die sich Zeit nehmen und verstehen
Du Gott des Lebens und der Befreiung...
Für die Kirchen in Deutschland, die rat- und orientierungslos nach ihrer eigenen Zukunft suchen:
um Befreiung aus der Fixierung auf sich selbst, um Aufmerksamkeit, für das, was Menschen zu erleiden haben, um Orientierung am Evangelium, um kritische Nachdenklichkeit
Du Gott des Lebens und der Befreiung...
Für all die Toten, die an Krieg und Hunger, an der Schädigung und Umwelt und der Zerstörung der Lebensgrundlagen zugrunde gegangen sind, für die Verstorbenen aus unserer Nähe und für diejenigen, an die niemand mehr denkt:
um Auferstehung, um die Fülle des Leben in deiner neue Schöpfung
Du Gott des Lebens und der Befreiung...
Um all das bitten wir im Vertrauen darauf, dass du dich so wie für deinen Messias so auch für uns als Herr des Lebens erweisen wirst.